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Marbacher Rede von Ernst Hövelborn
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Rede zur Eröffung der Vernissage in Marbach
durch den Backnanger Künstler Ernst Hövelborn
Marbach, der 29.06.2014
Herr Bürgermeister Trost, lieber Lindmahr, meine Damen und Herren,

"Das Mythologische des Physikers", so lautete die Überschrift einer Besprechung seiner diesjährigen Ausstellung im Rathaus von Welzheim. Inwieweit Lindmahr Mythen erzählt oder welche aufgreift, ergibt sich aus seiner Thematik. Auf jeden Fall nimmt er Stellung zu Geschichten, die von den Nibelungen, der germanischen Mythologie oder von dem Raubritter Eppelein erzählt werden, dem es gelang dem Galgen zu entkommen, indem er sich einen letzten Ritt um die Henkerseiche ausbedungen hatte, um dann mit einem kühnen Sprung über die Mauer zu setzen. Er ist auf diese trickreiche Art und Weise dem Strick entkommen, was den Nürnbergern wiederum Hohn und Spott einbrachte. Als beispielgebend mag die Geschichte oder Mär der Nibelungen sein, die seit ihrer Wiedererweckung zu einem Nationalepos generiert, als Deutsche Ilias apostrophiert und in den Kontext eines rein nationalen Kunstverständnisses als vaterländisches Werk in der Art der namenlosen Volksdichtung integriert wurde. Dieses rein national und vaterländisch eingeengte Kulturverständnis steht ganz im Gegensatz zum humanistischen Kulturbegriff der Goethezeit oder des Marbacher Genius Friedrich Schiller. Der italienische Dichter und glühende Nationalist Gabriele d´Annunzio feierte dagegen die Wagner Opern und besonders den „Ring der Nibelungen“ als eine einmalige künstlerische Morgengabe an die deutsche Reichsgründung und das deutsche Volk. Die Entdeckung des Volkes beginnt in der Romantik und das völkische Germanentum findet seine literarisch– künstlerische Ausprägung z. B. in Heinrich von Kleists „Hermannschlacht“ oder in Friedrich Hebbels Trilogie „Die Nibelungen“. Im „Käthchen von Heilbronn“ schuf Kleist die Verkörperung einer einfältig-reinen und edlen Volksseele. Die Geschichte dieses fast ausschließlich sich national verstehenden Kulturbegriffs entwickelte sich nach der Reichsgründung 1870 und fand u.a. in der Schrift von Julius Langbehn „Rembrandt als Erzieher“ eine prägende ästhetische Wirkung und endete als ungeheuerlicher Eklat im barbarisch-kleinbürgerlichen Helden-mythos des Dritten Reichs am 8. Mai 1945.

Der Mythos selbst erzählt in seiner Struktur eine Geschichte vom Anfang an, sozusagen ex arches und lebt von der schicksalhaften Gemeinsamkeit des göttlichen und menschlichen Lebens, wie dies in der „Odyssee“ oder der „Ilias“ exemplarisch verwirklicht, während das Nibelungenlied, wohl christlich gesäubert, davon nichts kennt und zu einer bloßen Heldengeschichte geworden ist. Wagner hat dagegen in seinem „Ring der Nibelungen“ das Wirken beider, der Menschen und der Götter, indem er Siegfried vom griechischen Gott Apollon, dem Gott der Musen, ableitete wieder im Musikdrama miteinander verflochten. Das Grundprinzip des Mythos besteht in der Verwandlung und der daraus immer wieder entstehenden Verbindungen, worauf auch die Tätigkeiten des Spinnens und Webens der Nymphen verweisen. In diesem Sinne stellt sich der Mythos als ein Geflecht mit durchaus rationalen Beziehungen dar, weniger jedoch als ein auf den Glauben ausgerichtetes Lehr- und Offenbarungsgebäude, das von einer Person wie Gott-Vater, in dem Anfang und Ende zusammenfällt, ausgeht. Der Mythos erzählt eine Geschichte von Anbeginn an, wobei dieser Zeitstrom durch ein aition, ein heiliges Ereignis, unterbrochen werden kann. Im Mythos agieren Personen und treten Ereignisse auf, die miteinander verbunden sind.

Die Fotomontage von Lindmahr mit dem Titel „Die Nornenbefragung der Mitgardschlange“ zeigt diesen mythologischen Prozess der Verschiebung und Verwandlung. Man sieht drei Schaufensterpuppenfrauenköpfe und ihnen gegenüber das Bild eines Aals vor einer Art Schachtdeckel. Doch dies deutlich Gezeigte ist nicht das Gemeinte. Sondern durch den Titel ereignet sich eine Verwandlung, aus den Frauenköpfen werden die drei Schicksalsfrauen in der Edda und aus dem Aal die Mitgardschlange. Während die drei Nornen, so der Mythos an den Wurzeln der Weltesche Yggdrasil leben, an dem Sitz des Schicksals, verkörpert Mitgard die weltumspannende Seeschlange. Sie hält die Welt in ihrem Würgegriff und gehört daher zu den drei germanischen Weltfeinden. Thor versuchte sie mit seinem Hammer zu erschlagen, was erst beim dritten Anlauf gelingt, aber da er ihr nicht ausweichen konnte, stirbt er an ihrem Gift. Solches ist aus der Fotomontage nicht abzulesen. Das inhaltlich Gemeinte erschließt sich nur aus der Kenntnis des zugrunde liegenden Mythos. Die Fotomontage wirkt nur als Form und durch die Disparatheit ihrer Teile, in denen sich Bestimmtes und Unbestimmtes vermischt. Bestimmt ist die Begegnung mit dem Aal, die eine Empfindung erzeugt, die mit dem Wesen der Schlange zu tun hat, während die Schaufensterpuppen mit ihren stark infantilen, aber auch fragenden Gesichtszügen das nicht Festgelegte in sich tragen. Zur Gesamtstimmung trägt die Kohärenz der Bildelemente bei, die von einen sehr starken Hell-Dunkelkontrast bestimmt ist, der besonders die Struktur des Hintergrunds im Ungefähren lässt. Das aition des Mythos, das Ereignis, das ihn sozusagen in Gang bringt, liegt hier in der Begegnung zwischen den Bildelementen, aus der sich eine Geschichte entwickeln kann, die wiederum durch den Titel von Lindmahr auf den altnordischen Mythos im Bereich des Schicksals zurückverwiesen wird. Zugleich aber leben alle seine Fotomontagen von dem Element der Störung, das zwischen dem inhaltlich Gemeinten und dem bildhaft Dargestellten sich auftut, das selbst wiederum zu einem Mytho-logem werden und damit seine eigene Geschichte erzählen kann.

Es verbindet sich in seinen Arbeiten immer eine visuelle Ebene, die aus fotografischen und daher realistischen Elementen besteht, mit einer inhaltlichen, die im Sinne der erzählten Geschichte oder des Mythos fiktiven Charakter besitzt, wobei die Kombination beider Elemente entsprechend dem modernen Prinzip der Montage frei und an keine einheitliche, räumlich-perspektivische Ordnung gebunden ist, aber doch als Einheit wirkt. Experiment und Montage sind Grundprinzipien der Moderne. Theodor Adorno, wie er in seiner „Ästhetischen Theorie“ schreibt, sieht die Funktion der Montage „in der Disparatheit der Teile, Einheit desavouiert, wie als Formprinzip, sie auch wieder bewirkt.“ Er ergänzt dies: „Die Idee der Montage und der mit ihr tief verklammerten technischen Konstruktion wird unvereinbar mit der des radikal durchgebildeten Kunstwerks.“

Eine solche Disparatheit der Teile zeigt sich auf der computeranimierten Fotomontage der Einladungskarte, auf der zu sehen ist, die halbe Figur einer nicht bekleideten, kahlköpfigen, weiblichen Schaufensterpuppe, die über einem vielfach abgetretenen und benützten Holzdielenboden schwebt, auf dem ein schwarzer Apparat mit roter Kabelschnur liegt. Dahinter geht es in dem engen Flur eine steile Treppe nach oben, während der Kopf eines Schimmels sich zur kahlköpfigen Schaufensterpuppe herabbeugt. Der Titel „Falada verfällt im Rätsel-Streit der Mensch-Maschine“ nimmt diese Disparatheit auf und verweist zugleich auf den Rätselcharakter dieser Montage und damit auch der Kunst, wobei der Apparat sich als die deutsche Dechiffriermaschine „Enigma“ - gr. ainigma= Rätsel- herausstellt, die im Zweiten Weltkrieg eine entscheidende Rolle spielte, da es den Eng-ländern mit ihren genialen Mathematiker Alan Turing gelungen war, sie zu entschlüsseln und als Folge daraus die völlige Lahmzulegen der Deutsche U-Bootwaffe sich ergab. Neben der rätselhaften Maschine „Enigma“ taucht der Name „Falada“ auf, der aus dem Märchen „Die Gänseprinzessin mit ihrem treuen Pferd Falada“ von Jakob Grimm stammt. Die Märchensammlung der Brüder Grimm gehört in die Epoche der Romantik. Sie sind teilweise als Erziehungsbücher gedacht, wiewohl die in ihnen beschriebenen Grausamkeiten nicht immer kindgerecht erscheinen und damit im Sinne von Lindmahrs „Störromantik“ durchaus in sich Verstörendes tragen.

In gewisser Hinsicht erfordert Lindmahr von den betrachtenden Personen eine doppelte Dechiffrierarbeit, sowohl auf der inhaltlichen als auch auf formaler Ebene, wobei immer noch das Wort von Schiller gilt: Die Form macht das Kunstwerk, nicht der Inhalt. Im Inhalt steckt wohl die Botschaft, die aber mit der Ästhetik zumeist nichts zu tun hat. Sie nimmt eine ästhetische Form an und über die, wie im erwähnten Beispiel, kommt man ins Rätseln. Im Zusammenhang mit diesem Rätselcharakter, spricht Adorno in Hinblick auf das Kunstwerk von der „Zwieschlächtigkeit zwischen Bestimmten und Unbestimmten. Wie in Rätseln wird die Antwort verschwiegen und durch ihre Struktur erzwungen. Der Zweck der Kunst ist die Bestimmtheit des Unbestimmten. Der Rätselcharakter überlebt die Interpretation, welche die Antwort verlangt.“ Hier zeigt sich eine strukturelle Gemeinsamkeit aller ausgestellten Fotomontagen von Lindmahr. Sie sind im fotografischen Bereich bestimmt, wie in „Falada“ durch die Schaufensterpuppe, den Pferdekopf, den enge Flur eines alten Hauses und der steilen Treppe. Unbestimmt ist jedoch der Zusammenhang, die Antwort darauf ergibt sich nur in der Zusammensetzung, wobei wiederum das, was alles miteinander verbindet, der Rätselcharakter ist, der zum jedem Kunstwerk, selbst wenn es völlig interpretierbar erscheint, dazu gehört. Francois Loyotard, der französische Strukturalist, behauptet, dass selbst die Schönheit dem Verstand immer ein Rätsel bleibt und die Fotomontagen von Lindmahr wirken schön, obwohl immer die rätselhafte Ambivalenz zwischen optischem Bildmaterial und ihrer Konstruktion besteht.

Auf der anderen Seite sucht Lindmahr programmatisch in seinen Arbeiten über die Thematik der „Störromantik“ die „Einrichtung der neuen deutschen Mythologie“. Der Ethnologe Lévi-Strauss geht von einer streng logischen Struktur des Mythos aus und stellt dabei fest, dass „die Art der Logik im mythischen Denken ebenso streng ist wie diejenige der modernen Wissenschaft, und deren Unterschied liegt nicht in der Qualität des intellektuellen Prozesses, sondern in der Natur der Dinge, auf die er angewandt wird. Er wollte damit zeigen, „dass der Mensch immer gleich gut gedacht hat; die Verbesserung liegt nicht im angeblichen Fortschritt des menschlichen Geistes, sondern in der Entdeckung neuer Bereiche, auf die er seine unveränderten und unwandelbaren Kräfte anwendet.“ Es geht daher weniger um den Wahrheitsgehalt des Mythos, als vielmehr um seine Kohärenz und seinen inneren logischen Zusammenhang als eine bestimmte Konstruktionsform des menschlichen Gehirns und dessen sich immer neuen Stoffen, Inhalten, Vorgängen und Ereignissen zuwendenden Vorstellungsvermögens. Lindmahr beschreibt in seinem Manifest eine solche Vorstellungskraft. Sie findet sich im „märchenhaft raunenden Raum der deutschen Romantik; volkstümlich und ahnungsvoll, immer anschaulich und ergreifend“.

Es geht Lindmahr in seiner Mythologie um das Thema Heimat, die neu erzählt werden soll. Im Begriff der Heimat steckt das Heimliche und nahe dabei findet sich das Unheimliche oder das Geheure verbindet sich nach Heidegger mit den Ungeheuren. Hier beginnt im Sinne von Lindmahr die „Störung“, die durchaus „verstörend“ wirken kann, wenn das, was vertraut ist, die schönen Bilder der Heimat mit ihren Schlössern, Burgen Wäldern und Flüssen durch das Prinzip der Montage vom Bestimmten ins Unbestimmte gerückt und gleichsam in ihrem organischen Zusammenhang „zerstört“ werden. Ein Vorgang den Lindmahr mit einer „neuen Symbolik als Störung“ gleichsetzt. Ein Schlüsselbild zum Verständnis seiner Mythologie ist die Fotomontage mit dem Titel „Held aus Endlicht“. In dieser Arbeit kommen dabei Elemente zusammen, die sich in der deutschen Mythologie finden. Es ist auf der einen Seite der Wald, in den Lindmahr seinen Helden gesetzt hat und auf der anderen Seite der Held in Verbindung mit dem Licht. Der Wald ist bis heute Symbol der deutschen Identität und in der Romantik verstand man den Wald als Seelenlandschaft, aber auch als Ort des Heimlichen und Unheimlichen. Ernst Jünger schreibt in seinem Essay „Der Waldgang“: „Die Lehre vom Wald ist uralt, wie die menschliche Geschichte. Sie bildet das große Thema der Märchen, der Sagen, der heiligen Texte und Mysterien. Weiterhin bedeutet der Wald für Jünger eine grundsätzliche Ambiguität: „Der Wald ist heimlich. Das Heimliche ist das Trauliche, das wohlgeborgene Zuhause, der Hort der Sicherheit. Er ist nicht minder das Verborgen-Heimliche und rückt in diesem Sinn an das Unheimliche heran. In diesem Licht ist der Wald das große Todeshaus, der Sitz vernichtender Gefahr. Der Waldgang ist daher in erster Linie Todesgang. Er führt hart an den Tod heran - ja, wenn es sein muss, durch ihn hindurch.“ Lindmahr gibt seinem Helden ein Schwert in die Hand, damit kenn-zeichnet er ihn nicht als antiken Helden, obwohl er ihn in antiker Nacktheit darstellt sondern wohl als Siegfried, der im Wald den Drachen besiegt hat. Dies aber nicht in germanischer Tracht sondern entsprechend der Vorstel-lung von Richard Wagner in seinem „Ring der Nibelungen“, der in Siegfried nicht, wie Tacitus die Germanen in seiner „Germania“ als ungepflegte und barbarische Rohlinge beschreibt, sondern als Lichtgestalt in Analogie zu Apollon sah, dem Gott der Musen. Siegfried besiegt den Drachen, den Repräsentanten der Mächte der Finsternis, ist als solcher Erlöser und bekommt messianische Züge. Siegfried versteht, nachdem er im Drachenblut gebadet hatte, die Sprache der Vögel, er fühlt sich im Wald heimisch, aber zugleich wird der Wald zum Tatort. Dort bringt ihn in einer Waldlichtung Hagen heimtückisch und meuchlerisch um. Der Wald wird, wie Jünger schreibt, zum Ort der „Vernichtender Gefahr und der Waldgang zum Todesgang.“ Die betrachtenden Personen führt Lindmahr in dieser Fotomontage, auch ohne den Bezug zur romantisch-nationalen Waldvorstellung und zur Person des Drachentöters Siegfried, tief ins Heimliche des Waldes hinein, dies liegt an der Lichtregie dieser Montage und gewisser Hinsicht werden sie auch durch die Bildkonstruktion verstört. Verstört nicht nur, weil seine Grundthematik die „Störromantik“ ist, sondern weil die Struktur der Montage, wie Adorno feststellte, in der „Zwieschlächtigkeit“ zwischen Bestimmten und Unbestimmten liegt. Man gewahrt dieses traumhaft verrätselte Ambiente, wie aus einem realen Waldbestand eine imaginierte Gestalt, nackt, mit einem Schwert in der Hand plötzlich ins Licht tritt und thematisch seiner Herkunft nach, von Lindmahr im „Endlicht“ verortet wird.

Lindmahr beschreibt seine Intentionen: „Das Thema ist Heimat, neu erzählt. Störromantik eröffnet einen neuen, vertieften Blick auf die wundervollen Kulturgüter und Landschaften unserer Heimat und erzählt endlich wieder neue, fantastische Geschichten aus Deutschland. Allhier dient die Störromantik der Einrichtung der Entwicklung der neuen deutschen Mythologie.“ Karl May hat z.B. in Old Shatterhand ebenfalls einen wunderbaren deutschen Helden geschaffen, der sich durch „höchste Intelligenz, tiefste Herzensbildung und größte körperliche Geschicklichkeit“ auszeichnete. Ein anderes Bild des Helden zeichnete dagegen Heinrich von Kleist in seinem Drama „Hermannschlacht“ von Hermann dem Cherusker. So lässt Hermann seine eigenen Leute, als Römer verkleidet, sengend durch die Dörfer ziehen, um damit den Hass der Germanen gegen das römische Besatzungsheer wecken. Thuiskomar, der die Strategie der verbrannten Erde noch nicht begriffen hat, hält Hermann vor: „Die eignen Fluren sollen wir verheeren-? Was wir in diesem Krieg verteidigen wollen! Herman kalt: Nun den, ich glaube eure Freiheit wärs.“ In Hebbels Trilogie rechtfertigt Hagen sich auf zynische Weise für seinen Mord an Siegfried: „Sprecht von Schächern, die ihn im Tann erschlugen. Keiner wird´s zwar glauben, doch wir auch Keiner uns Lügner nennen! Wir steh´n wieder da, Wo niemand Rechenschaft von uns verlangt.“

Die Verbindung von Natur und Architektur ist eine weitere Konstante in den Arbeiten von Lindmahr. In der Fotomontage mit dem Titel „Im Gewittergleißen gewinnt der junge von Lindger sich den Wogetreu“ funkeln einmontierte Neonröhren als „Gewittergleißen“ zwischen jonischen Säulen hervor, in deren Zwischenräume drei weibliche Personen, wohl antike Grazien stehen, während im unteren Bildbereich, getrennt durch eine Bogenarchitektur der junge „Lindger“ sich den „Wogetreu“, ein amphibisches Pferd mit Fischschwanz und Schwimmfüßen, gewinnt. Die Architektur bewegt sich formal im Rahmen der Würdeformen von Tempel und Museum, während die Natur über das Wasser und das Pferd Bewegung und Leben in die Statik des architektonischen Bildaufbaus hereinbringt. Heidegger bezeichnet in seinen „Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung“ Natur im Sinne des gr. Wortes physis als das „Hervorgehen und Aufgehen, das Sichöffnen, Physis ist das in allem Gegenwärtige. Er charakterisiert sie als die Lichtung, in deren Offenes hinein erst alles zu erscheinen vermag, was ein Wirkliches ist. “ Die Natur stellt sich für Heidegger als das Allgegenwärtige und zeitiger als die Zeiten dar. Als Wirkliches in Form des „Wogetreu“ trägt sie auch den Menschen, seinen Reiter „Lindger.“

Abschließend stellt sich die Frage, auf welche Weise Lindmahr seiner „Neuen Deutschen Mythologie“, in seinen Fotomontagen Anschaulichkeit geben will. Inwieweit Richard Wagner oder auch Karl May mit ihren Musikdramen oder Abenteuerromanen deutsche Mythologien erzeugt haben, ist schwierig zu beantworten. Karl May hat einen deutschen Helden in den amerikanischen Mythos der Landnahme und dem Kampf zwischen Gut und Böse mit dem Sieg des Gesetzes sozusagen implantiert. Lindmahr bezieht sich einerseits auf die Struktur der amerikanischen Mythen, wie sie in den Comics vorgegeben ist und andererseits sucht er eine „Neue Deutsche Mythologie“ zu verwirklichen. Im Prinzip gibt es eine Identität zwischen Mythos und Wissenschaft, beide beruhen auf rationalen Strukturen und ebensolchen Schlüssen. So ist es in der Ilias klar, wenn Athene auftritt, der Geist der Mäßigung herrscht, daher steckt, beim Erscheinen der Göttin, als Schlussfolgerung Achill sein in blinder Wut gezogenes Schwert wieder in die Scheide. Diese ideell-materielle Einheit erweist sich im Mythos als Tatsache.

Als promovierter Physiker denkt Lindmahr in wissenschaftlichen Kategorien, inwieweit er in seinen Fotomontagen Signale eines mythologischen Urknalls aussendet, bedarf der Analyse. Er greift natürlich nicht wie seine Berufskollegen, die Physiker, beim Urknall des Universums auf 13,8 Milliarden Jahre zurück, aber immerhin doch auf vergangene Zeiten. Da nun sowohl mythische als auch wissenschaftliche Sätze rational begründet sein sollen und sich als ideell-materielle Einheiten erweisen, erhebt sich die Frage nach der Messbarkeit seiner mythologisch-künstlerischen Gravitationswellen. Immerhin ist Lindmahr als Subjekt in seinen Fotomontagen und deren bildhaft-inhaltlichem Bestand präsent, sodass als Messdaten für seine „Neue Deutsche Mythologie“ folgendes sich ergeben könnte: Der Name Lindmahr steht am Anfang als Ganzes für „Störromantik“, sie besteht aus Bilder und Archetypen, die sich mit Hilfe der Namen, bzw. Titel analog, aber nicht axiomatisch ableiten lassen, wobei jedoch vieles im Dunkel bleibt, was wiederum auf jenen unauflösbaren Rest verweist, der in jedem Mythos steckt. Aber auch in der Kunst ist man niemals auf der sicheren Seite, sodass man schlussfolgernd und abschließend sagen könnte, nichts Genaues weiß man nicht oder wie Adorno sagte: „Kunstwerke, die der Betrachtung und dem Gedanken ohne Rest aufgehen, sind keine.“ So haben letztendlich die „Betrachtis“ (Zusammenfassung von Betrachterinnen und Betrachter) schlechte Karten, da man vom Vexierbild Kunstwerk immer e bissle an der Nase herumgeführt wird, da je nach Fragestellung elles wieder ganz anders isch und damit fataler Weise das „Ganz-Andere“ des Kunstwerks, aber auch der Mythologien auftaucht. Dergestalt man wieder am Anfang steht ond mr´grad weitermache könnte oder wie Sokrates nach langen Dialogen abschließend zu sagen pflegte: oida ouden oida – ich weiß, dass ich nichts weiß, wobei sich das Nichtwissen durchaus als ebbes erweist.

So danke ich Ihnen für das geduldige Zuhören und wünsche Ihnen lustvolle Freude an dem, was Lindmahr uns zu sehen gibt, was sowieso das Substantielle und Wesentliche in der Ausstellung ist.

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Stand: 01.10.2016